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Fenster der Zukunft – Interview mit Prof. Dr. Andreas Neyer, Technische Universität Dortmund

Forscher an der Technischen Universität Dortmund tüftelten an einem Projekt neuartiger Fensterverglasungen. Nun stellen die Wissenschaftler mit Prof. Dr. Andreas Neyer an der Spitze eine bereits patentierte Neuntwicklung vor, die es in sich hat: Fenster der Zukunft verfügen über Scheiben, die Tageslicht auf besonders geschickte Weise in Innenräume lenken.

Fenster-Verglasungen

Eine Neuentwicklung lenkt Tageslicht geschickt in Innenräume (Foto: aydinmutlu / istockphoto.com)

Wenn es künftig in Innenräumen deutlich heller wird, dann hat wohl das Forscher-Team um Prof. Dr. Andreas Neyer an der TU Dortmund mit einer Neuentwicklung im Bereich Fenster-Verglasungen die Hände im Spiel. Mit dem innovativen Produkt sorgen künftige Fenster für eine weitmögliche Beleuchtung auf natürlicher Basis. Zusätzlich wird kräftig Energie eingespart. Um bis zu 30 Prozent lässt sich der Verbrauch der kostbaren Ressourcen senken. Licht um die Ecke leiten – welches Prinzip steht hinter dieser spektakulären Entwicklung? Wir haben nachgefragt. Im Gespräch mit Prof. Dr. Andreas Neyer, Leiter des Arbeitsgebietes Mikrostrukturtechnik an der Technischen Universität Dortmund.

Prof. Dr. Andreas Neyer (Foto: TU Dortmund)

Prof. Dr. Andreas Neyer, Technische Universität Dortmund

Herr Professor Neyer, Sie und Ihr Team im Arbeitsgebiet Mikrostrukturtechnik an der TU in Dortmund machen gerade mit einer innovativen Neuentwicklung im Bereich Fensterscheiben von sich reden. Um was geht es genau, bzw. welche Aufgabe hatte sich das Team zum Ziel gesetzt?

Das Ziel dieser Entwicklung besteht darin, das physiologisch wertvolle Tageslicht intensiver und kostengünstiger als bisher zur Beleuchtung von Räumen auszunutzen.

Dazu werden speziell mikrostrukturierte Kunststoffplatten so in die Doppelverglasung von Oberlichtern eingebracht, dass einfallendes Sonnenlicht unter die Decke gelenkt wird und von dort diffus gestreut den Raum erhellt – auch wenn die Jalousie unterhalb des Oberlichtes geschlossen ist.

Licht wird damit – vereinfacht ausgedrückt – intelligent um die Ecke geleitet. Welches Prinzip steckt dahinter und wie komplex ist das Verfahren?

Lumitop-Mikrostruktur

Prinzip der Raumbeleuchtung durch Verwendung einer Lichtumlenkplatte im Oberlichtbereich (Foto: TU Dortmund)

Das Prinzip der Lichtumlenkung basiert auf der Reflexion des einfallenden Sonnenlichtes an den planen Unterseiten von Linsen auf der Eintrittsseite und von Prismen auf der Austríttsseite des Lichtes.

Das Hauptproblem bei einer Lichtumlenkung von Sonnenlicht ohne eine aktive Nachführung der optischen Elemente resultiert daraus, dass sich die Sonnenstände (Einfallswinkel und –richtung) über den Tag und über das Jahr verändern in einem Winkelbereich zwischen 15° und 65°.

Erst eine Kombination von Linsen auf der Lichteinfallsseite und Prismen auf der Austrittsseite ergibt eine zufrieden stellende Konstanz in der Umlenkeffizienz von ca. 70 Prozent. Prinzipiell ist die optische Anordnung und Funktion nicht übermäßig komplex. Die große Schwierigkeit besteht darin, die gefundenen Strukturen, deren Abmessungen sich im Sub-Millimeter Bereich befinden, auf Fenster-taugliche Formate von 1500 mm x 500 mm zu übertragen und mit produktionstauglichen Methoden herzustellen. Hier hat die im benachbarten Sauerland ansässige Firma Jungbecker Großes geleistet und steht kurz vor der Serienfertigung.

Mikrostruktur-Fenster

Details der optischen Mikrostrukturen auf der Vorder- und Rückseite der Lichtumlenkplatte (Foto: TU Dortmund)

Bedeutet dies, dass nun auch Tageslicht in bisher dunkle und schattige Ecken des Hauses geleitet werden, ohne dass zusätzliche Fenster an diesen schummrigen Orten eingebaut werden müssen?

Wirksam werden die Lichtlenkelemente natürlich nur dann, wenn Sonnenlicht direkt auf die Elemente trifft. Die genaue Reichweite muss noch messtechnisch ermittelt werden. Wir gehen aber davon aus, dass Räume bis zu einer Tiefe von ca. 5 m mit dieser Technologie ausreichend beleuchtet werden können.

3D-Fenstersimulation

Nachweis der sehr effektiven Lichtumlenkung mit Hilfe einer Taschenlampe (rechtes Foto). Im Bild links wurde die Platte aus dem Strahlengang entfernt (Foto: TU Dortmund)

Lässt sich eventuell auch Tageslicht von oben nach unten in ein dunkles Kellergeschoss ableiten?

Neben dem Einbau in Fester ist auch der Einbau in Dachverglasungen eine interessante Option, um schräg einfallendes Sonnenlicht in eine senkrechte Richtung von oben nach unten zu überführen, um z.B. Innenhöfe oder Treppenhäuser intensiver mit Tageslicht zu beleuchten. Eine weitere Option ist die Beleuchtung mehrstöckiger Gewächshäuser, in denen der Einfall des Sonnenlichtes senkrecht von oben nach unten wünschenswert ist.

Wird der Stellenwert von Tageslicht in Bezug auf Wohlbefinden und Gesundheit noch immer unterschätzt?

Sicherlich! Es gibt laufend neue Untersuchungen, die zeigen wie wichtig natürliches Tageslicht für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit ist. Der Grad der Empfindsamkeit ist sicherlich individuell unterschiedlich. Es sind aber bereits einige Fälle bekannt, bei denen durch Langzeiteinwirkung von Kunstlicht nachweislich gravierende gesundheitliche Schäden aufgetreten sind.

Hat es vor diesen Neuentwicklungen schon einmal Versuche gegeben, ein solches, ambitionierte Vorhaben zu realisieren? Falls ja, mit welchem Erfolg?

Es hat nicht nur einen Versuch gegeben, es gibt bereits ein kommerzielles Vorläuferprodukt dieser Entwicklung. Dieses Produkt trägt den Handelsnamen LUMITOP und wird von der Glas Firma Sant Gobain vertrieben. Das Prinzip dieses Produktes wurde von Prof. Helmut Müller erfunden, der auch an der aktuellen Entwicklung als Initiator und Miterfinder maßgeblich beteiligt ist. LUMITOP basiert auf einem Kunststoffprofil, welches zwischen zwei Doppelglasscheiben in gestapelter Form angeordnet wird. Die Funktion einer ausreichenden Beleuchtung von Räumen mit Tageslicht mit Hilfe dieser Technologie konnte bereits eindrucksvoll nachgewiesen werden wie z.B. im SPHERION Bürokomplex in Düsseldorf.

Problematisch an LUMITOP ist die relativ große Dicke des Profils von 12 mm, die ein spezielles Doppelglasprofil erfordert und durch die große Dicke ein relativ hohes Gewicht bekommt. Desweiteren hat sich der durch die komplexe Fertigung bedingte hohe Preis als ein Hindernis für eine umfassende Marktdurchdringung erwiesen.
Die jetzt vorliegende mikrotechnische Lösung ist eine ca. 5 mm dicke mikrostrukturierte Platte aus Plexiglas, die mit Hilfe von industriellen Produktionsverfahren wesentlich kostengünstiger hergestellt werden kann als die gestapelten LUMITOP-Profile und im Innenraum einer Standard-Doppelverglasung ausreichend Platz findet.
Der optische Eindruck der Lichtlenkplatten gleicht der von Milchglasscheiben und ist daher nur für Bereiche geeignet, die nicht durch-sichtig sein müssen, wie z.B. der Bereich der Oberlichter.

Lumitop-Mikrostruktur

Funktion und Vergleich Lumitop-Mikrostruktur (Foto: TU Dortmund)

Wie gut vorbereitet sind denn deutsche Unternehmen der Fensterherstellung, damit die Entwicklung möglichst rasch in die Praxis umgesetzt und auf den Markt gebracht werden kann?

Die Unternehmen der Glas- und Fensterhersteller warten bereits auf einbaufähige Muster, um die Qualität und Kunden-Akzeptanz der neuen Elemente zu testen. Für einschlägige Fensterfirmen ist der Einbau einer Kunststoffscheibe in eine Doppelverglasung kein großes Problem, da ähnliche Konstruktionen in der Vergangenheit bereits erfolgreich umgesetzt werden konnten.

Wie schätzen Sie die Marktchancen dieser Neuentwicklung ganz generell ein?

Wegen des hohen Einsparpotenzials von ca. 30 Prozent im Bereich der Kosten für elektrische Beleuchtung ist das Interesse an der Entwicklung besonders für Gebäude mit hohem Glasfassadenanteil sehr groß. Darunter fallen in erster Linie Bürogebäude aber auch öffentliche Verwaltungsgebäude, sowie Schulen und Universitäten. In diesen Bereichen wird eine rasche Markteinführung und Marktdurchdringung erwartet.

Woran werden Sie und Ihr Team in der Zukunft tüfteln? Gibt es schon Ideen und Ansätze für ähnlich innovative Projekte?

Das vorliegende Projekt wurde wissenschaftlich von meinem Mitarbeiter, Herrn Dipl.-Ing. Stefan Klammt im Rahmen seiner Dissertation bearbeitet. Mit der Abgabe der Dissertation im Laufe dieses Jahres werden auch die wesentlichen Arbeiten zum Thema Lichtlenkung beendet sein.

Ein ähnlich innovatives Projekt steckt bereits in den Kinderschuhen und wird uns in den kommenden Jahren beschäftigen: Extrem flache Leuchten, deren Funktion auf der Lichtleitung von LED-Licht in dünnen, transparenten Kunststoffplatten oder –folien beruht und die das geführte Licht gezielt durch geeignete Mikrostrukturen abgeben. Die Besonderheit dieser Platten bzw. Folien besteht darin, dass sie völlig durch-sichtig sind und somit Licht-Designern ganz neu Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen.

Das Forscherteam an der TU Dortmund mit Prof. Dr. Andreas Neyer

Das Forscher-Team an der TU Dortmund mit Prof. Dr. Andreas Neyer (Foto: TU Dortmund)

Das Interview führte Ursula Pidun
 
Impressionen TU Dortmund:

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Förderungsstopp bei Gebäudesanierungen – Interview mit Dr. Ilona Klein
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Verweise:

Dimmbares Glas auf Knopfdruck
Kengo Kuma und Lichtbeton
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Aluminiumfenster – edel und beständig
Kunststofffenster – kunterbunt und energieeffizient
Dach und Fassade aus Titanzink
Dächer und Fassaden aus Blech
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Autor: Ursula Pidun
Veröffentlicht in: Ideen, Wohnen, Architektur, Hausbau, Interview
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